Meeraner Blatt
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Predigttext Teubner – 150 Jahre Friedhof Meerane Gegründet im November 1989 – Online-Ausgabe seit 2004

Predigttext von Oberkirchenrat Pfarrer Dr. Martin Teubner anlässig des Festgottesdienstes zum 150-jährigen Jubiläum des Friedhofs Meerane

 

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Schwestern und Brüder,
seit nunmehr 150 Jahren werden auf diesem Grundstück der Gemarkung Meerane Menschen beigesetzt. Seither prägt dieser Ort das Gedächtnis der Kirche und der Kommune: er erinnert an Geschichten von Menschen, die vor uns waren. Manche Spuren sind noch tief, andere verwaschen. Dass wir Menschen gedenken, ist nach christlichen Verhaltensregeln ein Werk der Barmherzigkeit. Wir zeigen somit: Gott vergisst keinen Menschen, er hat sie beim Namen gerufen und steht verbindlich zu diesem Ruf.
Aufgrund dieser sowohl jüdischen als auch christlichen Glaubensüberzeugung wird der Friedhof zu einem Ort der Achtung menschlichen Lebens, jeden menschlichen Lebens. Es ist eine grundlegende Aufgabe einer Kirchgemeinde, dieses Gedenken an Gottes Zuwendung gegenüber jedem einzelnen Menschen, der gelebt hat, der lebt und der noch leben wird, wach zu halten. Übrigens: ebenso ist es eine wichtige Aufgabe der gesamten Zivilgemeinschaft, deren Teil die Kirchgemeinde ja ist.
Am Gepräge eines Friedhofes wird augenscheinlich, dass christliche Werte eine Zivilgesellschaft beeinflussen. Ein Friedhof regt sowohl zum individuellen als auch zum gesellschaftlichen Nachdenken über Werte an. Genauso, wie Trauerarbeit sowohl individuell als auch in Gemeinschaft zu leisten ist. Dieses Aneinandergewiesensein, dieses Miteinander von Kirche und Zivilgesellschaft wach zu halten, mahnt uns dieses Friedhofsjubiläum dringlich. Das Gedenken an Verstorbene wie auch die christliche Hoffnung über den Tod hinaus mahnen zu Lebzeiten zum humanen, vernünftigen Umgang im Miteinander. – Wissen wir doch, wie schwer es fällt, sich am Grab zu verabschieden von Menschen, denen wir in den letzten Lebenstagen oder gar Lebensjahren gram gewesen sind. Der letzte Abschied ist auch eine Möglichkeit, sich des eigenen Verhaltens bewusst zu werden und vor Gott um Vergebung zu bitten.
Wir sind alle ausgesetzt, ex-istent und schutzbedürftig. Der tiefe Halt oder das Entbehren von Halt aus den Wunden der Biographie kann manchmal durch Menschen allein nicht ersetzt werden. Haben wir nicht genug getan? Sind wir schuld? Vielleicht ist sie vermessen, diese Frage – als könne man einander glücklich machen. Überschätzen wir uns nicht angesichts der Abgründe, die sich allein in unserer eigenen Biographie auftun können?
Der Friedhof, ein abgegrenzter, eingefriedeter Ort, fern des alltäglichen Geschehens, eröffnet einen Raum der Ruhe, des Nachdenkens und des Gespräches. Er lädt ein, über zwischenmenschliche Beziehungen, über Vorstellungen gelingenden Zusammenlebens nachzudenken.
Der Friedhof trägt seinen Wert und diese Hoffnung schon in seinem Wort in sich: Frieden. An den Soldatengräbern spüre ich diese Sehnsucht besonders. Doch ebenso an Gräbern von Familiengliedern, Freunden und Bekannten.
Da wohnt ein Sehnen tief in uns: die Sehnsucht nach Frieden ist in uns allen. Frieden mit sich selbst, in Familie und Nachbarschaft, in Gesellschaft, Frieden mit der Schöpfung, der Natur, Frieden zwischen den Völkern. In diesem Wunsch nach Frieden sind viele Wünsche zusammengefasst: der Wunsch nach Sicherheit, der Wunsch nach Wohlergehen, der Wunsch nach Harmonie. Frieden ist derjenige Zustand menschlichen Zusammenlebens, der Gemeinschaft fördert, in dem sich sowohl die einzelnen Menschen als auch die Gemeinschaft von Menschen entwickeln können. Frieden ist aber auch eine Gabe Gottes, die uns ein gesegnetes Leben in Gerechtigkeit verspricht.
Wir müssen auf der Suche nach diesem umfassenden Frieden bleiben. Vielleicht auch und gerade beim Gang über den Friedhof, wo zwischenmenschliche Zerwürfnisse, unfassbare Kriegsleiden, menschliche Krankheitsschicksale erinnert werden.
Der Prophet Jesaja träumt die Vision der Vollkommenheit, er sieht das Friedensreich Gottes nahe herbeikommen. Er verkündigt den Friedensbringer. Dieses alte und noch heute anrührende Prophetenwort nimmt uns mit auf den Weg des Friedens, auf einen Pfad des Aufatmens und der Erleichterung. Wir sehen in ein Leben, das aufrecht durch die Tage gehen kann, ein Leben, das sich getragen weiß vom Einklang der Freude, ein Leben, das sich aufschwingen kann in die Weite des Himmels.
Wie lieblich sind die Füße der Freudenboten, die da Frieden verkündigen! Ich höre sie, ich spüre sie, ihren fast schwerelosen Gang. Füße, die dahingleiten, angerührt, angefacht vom Jubel des Friedens. Ich stelle sie mir vor, die Freudenboten: ein Glanz in ihren Gesichtern, ein Strahlen. Ich sehe sie vor mir, die Boten des Heils: Der Raum wird weit, das Leben leicht. Leuchten erfüllt die Augen. Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes, angerührt, angefacht vom Jubel des Friedens.
Zu viel für diese Welt? Nur ein Traumgespinst? Eine nette Illusion? Zu viel angesichts greifbarer Not, angesichts der Schmerzen, der schweren Krankheiten, der leeren Herzen, der Mutlosigkeit? Zu viel angesichts des Hasses auf den Straßen? Zu viel angesichts gewalttätiger Auseinandersetzungen in unseren Städten? Zu viel angesichts der Kriegsgewalt, der bestürzenden Bilder aus Syrien. Da ist kein Jubel des Friedens.
Ich sehe sie vor mir, die Kinder, die statt des Gesanges des Guten nur die Tiraden des Hasses hören. Ich stelle sie mir vor, die Kinder, die eine Fülle von Demütigung spüren, dass sie daran ersticken könnten. Ich sehe auch die Kinder, die mitten im äußeren Frieden die Verachtung des Wohlstandes erfahren, die reichen Gabentischen gegenüber stehen, aber keine elterliche Liebe spüren, die früh schon auf Leistung getrimmt, die einfach nur Kinder sein wollen, angerührt vom Jubel des Staunens.
Ist dieses Wort des Propheten Jesaja, das von Weite erzählt, von Freude und Frieden, wirklich zu viel für diese Welt? – Niemals! Denn es gibt sie, die Orte des Friedens, die Erfahrungen, die Herzen weit machen. Es gibt sie, die Menschen, die ihrem Gewissen folgen, ihrer Seele trauen. Es gibt sie, die vielen, vielen Taten der Hoffnung und es gibt die Gnade des Gebets, die Stille, die Freude der Ruhe, Einkehr in Gottes Nähe. Es gibt die Hingabe an das Gute. Es gibt sie, diejenigen Hände, die Frieden stiften und die Herzen, die auf Freude gestimmt sind – inmitten der Trauer, der Not, inmitten der Schuld, inmitten der Schmerzen des Lebens, inmitten äußerer und innerer Qual, angesichts eines Friedhofes, deren Jubiläum wir heute feierlich und dankbar begehen.
Der Friedhof will uns zum Bild werden: Es gibt diesen Weg des Friedens: den Weg des aufmerksamen Hineinhörens in Gottes Wahrheit, in die Bewegung des Heiligen Geistes, in die Tiefe der göttlichen Barmherzigkeit und der Vergebung, die dort beginnt, wo wir sie als Jüngerinnen und Jünger Jesu üben. Wo wir in Häuser gehen, um die frohe Botschaft von Jesus zu erzählen, Seelen heilen, Bedürftige Gottes Nähe spüren lassen.
Jesus hat so gelebt, und er will, dass auch wir so leben. Jesajas Traum wurde durch Jesus Wirklichkeit. Jener Traum, den Kinder träumen, jener Traum, den jede Mutter versteht, und der gerade nicht bloß ein Traum ist, sondern die Verheißung des Lebens selbst, das Gott uns schenkt.
Wir dürfen Friedensboten werden wie Jesus. Gerade angesichts unseres Friedhofes. Es gibt diese Möglichkeit zur Versöhnung, zur Versöhnung mit Gott und zur Versöhnung mit Menschen, auch über den Tod hinaus. Denn wo wir ans Ende kommen, fängt Gott an, wo wir sagen: „unmöglich“, dort beginnt Gottes wundervolles Tun.
Was kann ich als Einzelner tun?
„Sag mir, was wiegt eine Schneeflocke“, frage die Tannenmeise die Wildtaube. „Nicht mehr als ein Nichts“, gab sie zur Antwort. „Dann muss ich dir eine wunderbare Geschichte erzählen“, sagte die Meise: „Ich saß auf einem Ast einer Fichte, dicht am Stamm, als es zu schneien anfing; nicht etwa heftig im Sturmgebraus, nein, wie im Traum, lautlos und ohne Schwere. Da nichts Besonderes zu tun war, zählte ich die Schneeflocken, die auf die Zweige und auf die Nadeln des Astes fielen und darauf hängenblieben. Genau dreimillionensiebenhunderteinundvierzigtausendneunhundertzweiundfünfzig waren es. Und als die dreimillionensiebenhunderteinundvierzigtausendneunhundertdreiundfünfzigste Flocke niederfiel, nicht mehr als ein Nichts, brach der Ast ab.“ Die Taube sagte nach kurzem Nachdenken zu sich: „Vielleicht fehlt nur eines einzelnen Menschen Stimme zum Frieden der Welt.“
Ja, vielleicht ist es gerade die eine oder andere Stimme von uns. Jesus ermutigt jedes Gotteskind, seine Stimme für den Frieden sprechen zu lassen. Lasst uns den Visionen der Propheten und dem Tun Jesu vertrauen, damit wahr wird, was Jesus uns verheißen hat – Kinder des Friedens zu sein.
Angesichts derjenigen Frauen und Männer, die Frieden verkündigen und für Frieden eintreten, angesichts des Jubiläums unseres Friedhofs, der himmlischen Frieden und weltlichen Unfrieden klar benennt, angesichts der Beständigkeit der Kirche Jesu in Meerane durch alle Zeiten hindurch, dürfen wir heute Gott für seine Bewahrung und seinen Segen danken. Und uns verpflichten, für Gottes Frieden weiterhin einzutreten.
Und dieser Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Martin Teubner